«Der Nagel auf den Kopf Sich auf den ersten Blick in ein Gedicht verlieben?
Dieser Frage gehen die meisten Lyrikbegeisterten nach.
Der eine findet oder der andere eben nicht.
Wie sagt Beat Brechbühl im Grußwort von orte 157: ‹Von
manchen Gedichten werden Sie begeistert sein, dann wieder
die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.›
Ich habe beides getan und immer wieder mit begeisterter Lust
und Neugierde aufs nächste. Es ist eine derart interessante
Zusammenstellung, weit gefächert und sehr lebendig, was die
Auswahl der Autoren angeht als auch deren Gedichte.
Das ist für mich Lyrik, die mich trägt und uns verbindet. 2008 war für mich ein Rezensionsjahr. Und mit manchem
Autor habe ich mich sehr schwer getan. Aus den unterschiedlichsten
Gründen. Mal war es mir zu langweilig, mal waren enorm viele
Verdopplungen drin, wie sie mir persönlich nicht gefallen. Mal
fehlten mir kräftige Methapern. Ein anderes Mal hat es mich einfach
nicht berührt, so bekannt der Autor auch sein mochte.
Unkraut im Dach liegt vor mir und ich fühle mich frei, mit den nötigen
Details geschrieben, die mich berühren und ansprechen.
Allein schon vom äußeren Erscheinungsbild her ist das Heft sehr gelungen.
Auf jeder Seite sind im wahrsten Sinne des Wortes Augenblicke,
darunter die Gedichte, abgerundet mit einem zusammenfassenden
Satz in schönster Schreibschrift. Wunderbar.
Und wie fragt Beat Brechbühl noch einmal nach: Entführt es mich? Hat es eine eigene Magie?
Ja. Unkraut im Dach entführt mich in die geheimnisvolle Welt der Lyrik. Da mir, bis auf einige Ausnahmen, die Autoren nicht allzu sehr
bekannt sind, fällt es mir noch leichter objektiv zu sein.
Und so sind es nur die Worte eines Rainer Brambach, nicht der Name,
(dessen Kofferöffnung lohnend und zugleich beglückend ist, wie die
im Übrigen kleinen Anmerkungen zu jedem Autor, die ich sehr witzig
finde) mit Untermiete, der mich begeistert.
‹... du bist die Schönste / außer der Katze, / bei der du in Untermiete
wohnst. / ...›
Oder ein Peter Gisi mit seinen (starken) Bildern, denen natürlich nichts
an feiner Sensibilität fehlt.
‹Auf den Chefetagen herrscht
Hochbetrieb.
Teppiche so tief, dass die Manager
bis zu den Hüften
drin versinken.›
Was für eine Ironie, die dieser Mann hier zugrunde legt. Die Betrachtung
einer Stadt, wie sie hintergründiger nicht sein kann.
Natürlich will ich jetzt nicht nur die deutschsprachigen Autoren anführen
und möchte auch etwas zu dieser neuen, sehr gekonnten Verbrüderung
beitragen.
Doch es fällt mir an dieser Stelle schwer, das eine oder andere, für mich
vielleicht berührendste Gedicht herauszupicken. Unkraut im Dach hat
mich in seiner Gesamtheit angesprochen, das eine Gedicht mehr, das andere vielleicht etwas weniger. Deswegen wird die Auswahl ja nicht leichter.
Ich entscheide mich für Concha García und ihren (anders gedachten) Gewohnheiten, dessen überraschende Wortwahl vielleicht das nachhaltigste Gefühl in mir erweckt.
‹Ich habe mich ausgestreckt auf dem frischen Gefühl
das der Tau an Nebeltagen hinterlässt. ...›
Concha García trifft den Nagel auf den Kopf, würde man bei uns im Westfälischen
sagen.
Es ist früher Morgen, mein Blick zieht immer wieder über die Dächer unserer
Kleinstadt, in dessen Nacken noch der frühe Nebel klebt.
Die letzte Nacht hat das Unkraut frieren lassen und verstopft nun zum
Leidwesen der meisten Menschen die Regenrinnen.
Übrigens, ich mag jetzt Unkraut.
‹Wie die Blätter vom Baum fallen uns Bücher ins Haus. Nun kann
er kommen, der dunkle, kalte, lange Winter›, schrieb einst der
deutsche Poet Hans Bender.
Nein, nicht nur der Winter, auch der Frühling, denn diese orte-Ausgabe
ist ebenso erfrischend frühlingsleicht.» Carmen Caputo